Von Deindustrialisierung zu Reindustrialisierung, von De-Growth zu Re-Growth
Lasst uns Wirtschaft neu denken, neu machen!
Morgen liegt die Bundestagswahl hinter uns, und wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters. Die Welt, wie wir sie kannten, verändert sich rasant – geopolitische Umbrüche, ökologische Krisen, Migration und wirtschaftliche Unsicherheiten fordern uns heraus. Doch die Frage ist nicht, ob Wandel geschieht, sondern ob wir ihn selbst gestalten oder uns eine Zukunft aufzwingen lassen, die wir nicht gewählt haben. Haben wir den Wecker gehört? Stehen wir auf und handeln mit Tatkraft – oder bleiben wir liegen und überlassen anderen die Entscheidung über unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkelkinder? Jetzt ist der Moment, Verantwortung zu übernehmen. Jetzt ist die Zeit, die Wirtschaft neu auszurichten – nicht als Verwaltung des Alten, sondern als mutige Gestaltung des Kommenden.
Wirtschaft als lebendiges System begreifen
Die Vorstellung, dass Wirtschaft ein in sich geschlossenes System ist, das nur nach eigenen Regeln funktioniert, dominiert bis heute unser Denken. Sie prägt eine Marktwirtschaft, die auf Effizienz, Wettbewerb und die Maximierung finanzieller Profite ausgerichtet ist. Doch genau hier liegt das Problem: Diese Struktur unseres Wirtschaftens ist längst von der Realität entkoppelt. Wirtschaft ist kein isolierter Mechanismus, sondern eingebettet in ein lebendiges Netz aus ökologischen und sozialen Wechselwirkungen. Indem das bestehende Modell diese Grundlagen ignoriert, weicht es von den Rahmenbedingungen ab – mit tiefgreifenden Folgen für Mensch und Natur.
Ein kürzlich veröffentlichtes Paper mit dem Titel “Towards an Ecological Metaphor for Regenerative Circular Economies” (Zisopoulos et al., 2025) setzt genau hier an. Es fordert, dass wir Wirtschaft nicht mehr als Maschine betrachten, die nur besser geölt werden muss, sondern als Ökosystem, das sich ständig erneuert, anpasst und entwickelt. Das ist nicht nur eine philosophische Spielerei. Es ist eine fundamentale Neubewertung dessen, was wir unter wirtschaftlichem Erfolg verstehen. Genau hierfür steht die Initiative Regenerative Marktwirtschaft!
Von Deindustrialisierung zur Reindustrialisierung – eine regenerative Perspektive
Die Diskussion um die Zukunft der Wirtschaft ist oft von einem Gegensatz geprägt: Entweder wir setzen auf weiteres Wachstum, mit allen bekannten Schäden für Umwelt und Gesellschaft – für einen Wohlstand der unseren Wohlstand zerstört –, oder wir schrumpfen radikal – was beim Reizthema De-Growth diskutiert wird. Doch diese Gegenüberstellung greift zu kurz.
Was wir brauchen, ist nicht die bloße Schrumpfung alter Industrien, sondern eine gezielte Reindustrialisierung – eine Verwandlung der Wirtschaft mit regenerativen Prinzipien im Zentrum.
Es geht nicht darum, Industrie abzubauen, sondern sie umzubauen. Statt Ressourcen, Vorprodukte und Produkte aus dem Globalen Süden zu importieren und hier den Wert zu schöpfen, müssen wir regionale Kreisläufe schließen. Statt Wertschöpfungsketten auf Kosten von Umwelt und Arbeitskräften (Externalisierungswirtschaft) brauchen wir Wertschöpfung, die auf Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit und Wiederverwertung setzt. Eine Wirtschaft, die nicht ausbeutet, sondern erneuert – also eine regenerative Wirtschaft.
Reindustrialisierung bedeutet, Wirtschaft nicht mehr als extraktives, sondern als gestaltendes System zu begreifen. Sie orientiert sich nicht an der Maximierung von Finanzkapital auf Kosten sozialer und ökologischer Stabilität, sondern an der Wiederherstellung und dem Ausbau lebendiger Wertschöpfung. Es geht um eine Industrie, die Kreisläufe schließt, Ressourcen erneuert und nicht mehr zerstört, sondern aufbaut.
Das ist eine völlig andere Vorstellung von Wachstum. Kein „immer mehr“, sondern ein Re-Growth – ein Wachstum der Möglichkeiten, der Resilienz, der regenerativen Potenziale. Es geht nicht um die bloße Expansion von Produktion und Konsum, sondern darum, Systeme zu schaffen, die langfristig stabil und anpassungsfähig sind.
Jenseits von Wachstum und Profit – ein neues Verständnis von Wert
Unsere Vorstellung von Profit ist zu eng gefasst. Der gegenwärtige Kapitalismus misst Erfolg fast ausschließlich in finanziellen Kennzahlen: Renditen, Börsenkurse, Kapitalrendite, Bruttoinlandsprodukt (BIP). Doch wirtschaftlicher Profit ist nicht nur eine Zahl in einer Bilanz. Er ist der Ausdruck eines vielschichtigen, vernetzten Systems. Eine regenerative Wirtschaft muss Profite ganzheitlich betrachten – als etwas, das nicht nur finanziellen Gewinn bedeutet, sondern auch gesellschaftlichen, kulturellen und ökologischen Mehrwert schafft.
Dieses erweiterte Verständnis von Profit erinnert an das Konzept eines ethischen Kapitalismus, das wir vor zwei Wochen kritisch beleuchtet haben (Vom ethischen Kapitalismus zum regenerativen Unternehmertum). Markus Gabriel (2023) argumentiert in Gutes tun: Wie der ethische Kapitalismus die Demokratie retten kann, dass Unternehmen nicht nur Profite maximieren, sondern aktiv zum Gemeinwohl beitragen sollten. Doch wie wir in Vom ethischen Kapitalismus zum regenerativen Unternehmertum dargelegt haben, bleibt dieser Ansatz in einer rein moralischen Dimension verhaftet, ohne die strukturellen Voraussetzungen für eine nachhaltige Wirtschaft fundamental zu hinterfragen. Eine Regenerative Marktwirtschaft geht weiter: Sie schafft nicht nur Anreize für verantwortungsvolles Handeln, sondern verankert Wirtschaft als gestaltendes System, das soziale und ökologische Potenziale aktiv entfaltet. Unternehmen sind nicht bloß Akteure in einem besser justierten Markt, sondern zentrale Treiber der Resilienz und Regeneration unserer Lebensgrundlagen. Es reicht nicht, den Kapitalismus ethisch kompatibel zu machen – wir müssen Klarheit darüber schaffen, wie wir ihn ausrichten wollen: regenerativ wirtschaftend!
Das bedeutet auch, dass wir unser Wachstumsparadigma überdenken müssen. Wirtschaftliches Wachstum, das Finanzkapital maximiert, aber andere Grundlagen untergräbt, ist ein Irrweg, eine Sackgasse. Re-Growth bedeutet, dass wir nicht quantitativ wachsen, sondern qualitativ – indem wir Potenziale entfalten, Vielfalt fördern und Systeme stärken, anstatt sie auszubeuten. Es geht um ein Wachstum, das nicht nur Ressourcen verbraucht, sondern regenerative Kapazitäten aufbaut.
Die Wirtschaft erneuern statt verwalten
Die Art und Weise, wie wir Wirtschaft denken und gestalten, entscheidet über unsere Zukunft. Noch heute wird Wachstum als eine Art “Naturgesetz“ betrachtet, als unaufhaltsame Bewegung nach vorne – bis sich zeigte, dass dieses Wachstum in Wahrheit auf der Erschöpfung unserer Lebensgrundlagen basiert. Jetzt stehen wir vor einer Wahl: Entweder wir lassen das System weiterlaufen, bis es an seinen eigenen Widersprüchen zerbricht, oder wir nehmen den Wandel selbst in die Hand.
Doch dieser Wandel darf nicht in einer bloßen Deindustrialisierung enden – einem schrittweisen Rückbau der Industrie und dem Aufbau eines dominierenden Dienstleistungssektor der letztlich nur den Status quo der Zerstörung verlangsamt – das Geld für die Ausgaben im Dienstleistungssektor muss schließlich irgendwo industriell verdient werden. Weniger schlecht ist nicht gut. Was wir brauchen, ist eine Reindustrialisierung, die nicht alleine auf Reparatur setzt, sondern auf Erneuerung. Eine Wirtschaft, die nicht reduziert, sondern regeneriert. Das bedeutet, Wertschöpfung nicht länger als extraktiven Prozess zu begreifen, sondern als bewusste Regenerationsarbeit – ein Begriff, den wir erstmals in unserem Beitrag “Die Zukunft regenerativ gestalten: Arbeit im Zeichen des Anthropozäns” eingeführt haben, mit einem Auszug aus Hans Rusineks Buch Work Survive Balance. Arbeit im 21. Jahrhundert darf nicht länger nur auf Produktivitätssteigerung und Ressourcennutzung ausgerichtet sein, sondern muss aktiv zur Wiederherstellung ökologischer und sozialer Systeme beitragen.
Reindustrialisierung in diesem Sinne bedeutet, dass Industrien nicht mehr auf linearen und extraktiven Produktionsketten basieren, sondern als zirkuläre, resiliente Systeme gedacht werden, die Kreisläufe schließen, regionale Wertschöpfung fördern und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur bewahren, sondern stärken. Zentral dafür ist die Integration natürlicher Wertstoffmetabolismen und Werkstoffkreisläufe: Die Energie der Sonne wird in biologischen und chemischen Prozessen – von der Photosynthese bis zur Mineralisierung – in Rohstoffe umgewandelt, die sich nahtlos in zirkuläre Wertschöpfungsprozesse einfügen. Statt fossiler Ressourcen, die irreversibel verbraucht werden, entsteht eine stoffliche Grundlage, die sich regenerieren kann und über biologische, technische oder mineralische Zyklen immer wieder in neue Stoffkreisläufe integriert wird. (Metabolismus beschreibt dabei die natürlichen Stoffwechselprozesse eines Systems, durch die Energie und Materie kontinuierlich umgewandelt und neu genutzt werden.) Es geht nicht um weniger Industrie, sondern um eine andere Industrie – eine, die nicht mehr auf Extraktion und Verschleiß beruht, sondern auf die Fähigkeit, Potenziale zu entfalten und Ressourcen als lebendige, erneuerbare Grundlage für zukünftige Wertschöpfung zu begreifen.
Genauso müssen wir unsere Vorstellung von Wachstum neu definieren. De-Growth als bloße Schrumpfung und/oder Stabilisierung der alten Strukturen reicht nicht aus. Wachstum an sich ist nicht das Problem – die Frage ist, was wächst und zu welchen Kosten (Externalitäten). Re-Growth bedeutet, die Kapazität von Systemen zu stärken, nicht sie auszubeuten. Es geht um ein Wachstum, das nicht mehr auf die Steigerung von Produktion und Konsum setzt, sondern auf den Aufbau von Resilienz, Potenzialentfaltung der lebendigen Welt, Vielfalt und regenerativer Wertschöpfung.
Die Wirtschaft von morgen wird nicht durch Verwaltung des Alten entstehen, sondern durch mutige Gestaltung des Neuen. Die Frage ist nicht mehr, ob sich das System verändert – das tut es bereits. Die Frage ist, ob wir diesen Wandel bewusst gestalten oder ihn uns von Krisen aufzwingen lassen.
Reindustrialisierung und Re-Growth sind keine theoretischen Konzepte, sondern eine Einladung zum Handeln. Sie fordern uns auf, Wirtschaft als gestaltbaren Prozess zu begreifen, nicht als starres System, das verwaltet werden muss. Es geht nicht um weniger, sondern um mehr – mehr Resilienz, mehr Lebendigkeit, mehr echte Wertschöpfung. Der Status quo hat keine Zukunft. Aber wir können eine neue Zukunft bauen. Jetzt.
Mit regenerativen Grüßen
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