Vom ethischen Kapitalismus zum regenerativen Unternehmertum
Warum Markus Gabriels Vision nicht weit genug greift – eine Konzeptkritik
Markus Gabriel fordert in Gutes tun: Wie der ethische Kapitalismus die Demokratie retten kann eine moralische Erneuerung des Wirtschaftssystems. Er argumentiert, dass Unternehmen nicht nur Profite maximieren, sondern aktiv zum Gemeinwohl beitragen sollen. Dieser Ansatz verdient Anerkennung, doch er bleibt im Rahmen einer liberalen Marktwirtschaft verhaftet, die lediglich symptomatische Korrekturen anstrebt, ohne die tieferliegenden systemischen Dynamiken zu hinterfragen. Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen geht einen entscheidenden Schritt weiter: Sie definiert nicht nur ethische Prinzipien, sondern schafft einen strukturellen und normativen Rahmen, der Unternehmen zu Akteuren einer ökologischen und sozialen Potenzialentfaltung macht.
Liberalismus neu gedacht: Freiheit als Potenzialentfaltung
Gabriel bewegt sich in einem klassischen liberalen Verständnis von Markt und Moral, in dem Unternehmen durch ethische Selbstverpflichtung die negativen Folgen ihres Handelns minimieren sollen. Doch dieses Verständnis bleibt in einer negativen Freiheit gefangen – der Freiheit von äußeren Zwängen. Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen orientiert sich an einem postliberalen Freiheitsbegriff, der nicht nur die Abwesenheit von Einschränkungen, sondern die aktive Potenzialentfaltung von Individuen, Gemeinschaften und Ökosystemen in den Mittelpunkt stellt.
Hier zeigt sich eine Nähe zu Amartya Sens Capability Approach, der Freiheit nicht als bloße Wahlmöglichkeit versteht, sondern als Fähigkeit zur Selbstverwirklichung in sozialen und ökologischen Kontexten. In dieser Perspektive ist Wirtschaft nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Gestaltungsraum, in dem gegenwärtige und zukünftige Generationen ihre Lebensgrundlagen aktiv verbessern können. Die Regenerative Marktwirtschaft schafft dafür die Rahmenbedingungen – sie denkt Freiheit horizontal in der Gegenwart und vertikal in die Zukunft.
Jenseits der Preisfindung: Der Markt als Raum der Verantwortung
Gabriels ethischer Kapitalismus setzt auf die Korrektur von Marktversagen – etwa durch die Internalisierung von Externalitäten. Doch diese Sichtweise bleibt dem Gedanken verhaftet, dass der Markt im Kern ein funktionales Systemist, das lediglich besser justiert werden muss. Die Vorstellung, dass Umwelt- und Sozialkosten in die Preisfindung integriert werden können, verkennt jedoch die komplexen, nicht-linearen Dynamiken ökologischer und sozialer Systeme.
Die Regenerative Marktwirtschaft erkennt, dass Märkte nicht neutral sind, sondern kulturell eingebettet und normativ geprägt. Sie versteht den Markt als Raum der Verantwortung, in dem unternehmerisches Handeln nicht nur auf Effizienz, sondern auf die Maximierung von Lebensqualität und Systemresilienz ausgerichtet ist. Diese Perspektive steht in der Tradition von Karl Polanyi, der in The Great Transformation betonte, dass der Markt immer in gesellschaftliche Strukturen eingebettet ist und nicht als autonomes, selbstregulierendes System betrachtet werden darf.
Der ethische Rahmen: Von abstrakter Moral zu konkreter Identität
Ein zentraler Schwachpunkt in Gabriels Ansatz ist die Vagheit des ethischen Rahmens. Unternehmen sollen „Gutes tun“, doch was genau das bedeutet, bleibt unklar. Gabriel verlässt sich auf die moralische Integrität von Akteuren, ohne einen verbindlichen, identitätsstiftenden Kompass zu liefern. In einer Welt zunehmender Komplexität und Unsicherheit reicht dies nicht aus.
Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen erkennt, dass ethisches Handeln unter Unsicherheit klare Orientierung braucht. Der normative Rahmen muss nicht nur abstrakt, sondern hinreichend konkret sein, um als identitätsbildend zu wirken. Unternehmerisches Handeln wird hier nicht als moralische Option, sondern als ethische Verpflichtungverstanden, die tief in der Unternehmenskultur verankert ist. Dies erinnert an Alasdair MacIntyres Konzept der praktischen Rationalität, bei dem moralisches Handeln aus der Verwurzelung in einer Gemeinschaft und deren Werte hervorgeht.
Regeneratives Unternehmertum: Der nächste Schritt
Gabriels ethischer Kapitalismus bleibt im Wesentlichen ein moralisches Feigenblatt – ein Versuch, das bestehende System zu humanisieren, ohne es grundlegend zu verändern. Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen bietet nicht nur eine ethische Fassade, sondern eine transformative Perspektive, die Wirtschaft als integralen Bestandteil ökologischer und sozialer Systeme begreift.
Wir sprechen hier nicht von einem ethischen Kapitalismus, sondern von regenerativem Unternehmertum. Unternehmen werden nicht länger als isolierte Einheiten betrachtet, die durch Marktmechanismen reguliert werden, sondern als aktive Gestalter von Lebensräumen. Sie tragen Verantwortung für die Potenzialentfaltung ökologischer und sozialer Systeme, nicht nur durch das Vermeiden von Schäden, sondern durch die aktive Förderung von Resilienz und Vielfalt.
Fazit: Ethik als Kompass, nicht als Kosmetik
Markus Gabriel liefert mit seinem ethischen Kapitalismus wichtige Impulse für die moralische Reflexion wirtschaftlichen Handelns. Doch sein Ansatz bleibt oberflächlich, weil er die strukturellen Voraussetzungen für ethisches Handeln nicht mitdenkt. Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen schafft die systemischen und normativen Bedingungen, unter denen ethisches Handeln nicht nur möglich, sondern notwendig wird.
Der Markt kann nicht durch moralische Appelle reformiert werden. Er muss als Raum der Verantwortung neu gestaltet werden, in dem Freiheit nicht nur als individuelle Autonomie, sondern als kollektive Potenzialentfaltung verstanden wird – im Hier und Jetzt, und für die kommenden Generationen.
Gabriels Vorschlag bleibt im Rahmen eines ethischen Kapitalismus. Die Regenerative Marktwirtschaft hingegen eröffnet den Weg zu einem regenerativen Unternehmertum, das nicht nur Gutes tut, sondern Gutes ermöglicht.
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