Die 8 Thesen einer Regenerativen Marktwirtschaft
Untergang oder Aufgang: Das Ende oder der Anfang einer Erfolgsgeschichte
Autor: Sebastian Fittko
Wir stehen an einem Wendepunkt, den man mit dem Bild einer S-Kurve beschreiben kann. Die alte Kurve – das Paradigma fossiler Energie und Externalisierungswirtschaft – war ungeheuer erfolgreich. Sie hat über zwei Jahrhunderte Wertschöpfung, technischen Fortschritt und klassischen Wohlstand ermöglicht: finanziell und materiell.
Doch wie jede S-Kurve flacht auch diese ab. Mit inkrementeller Optimierung lässt sich ihr noch etwas abringen. Aber jeder zusätzliche Gewinn kostet mehr, als er bringt.
Der Ökonom Herman Daly (1938-2022) hat dafür einen klaren Begriff geprägt: unökonomisches Wachstum. Wachstum, das mehr Kosten verursacht als Nutzen bringt, wird zur Belastung – für Gesellschaft, Umwelt und langfristig auch für die Wirtschaft selbst.
Das ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob wir den Blick frei bekommen für eine neue Kurve. Eine S-Kurve der regenerativen Wirtschaft, die nicht auf Übernutzung, sondern auf Erneuerung basiert. Sie wartet darauf, entdeckt, erprobt und geschrieben zu werden.
Eine Erfolgsgeschichte geht zu Ende. Die Frage ist: Haben wir den unternehmerischen und gesellschaftlichen Willen, ein neues Buch aufzuschlagen – oder verharren wir im Epilog des alten, während andere längst die nächste Geschichte schreiben? Vielleicht gar eine, in der wir nur noch als Industriemuseum vorkommen.
Die eigentliche Wahl ist klar: Wollen wir Teil einer Geschichte des Untergangs sein – oder einer Geschichte des Aufgangs? Wir haben diese Wahl nur, wenn wir sie bewusst treffen, wenn wir uns die Verantwortung für sie zurückholen.
Unsere Kinder und Enkel werden darüber richten, ob wir den Mut hatten, eine neue Geschichte zu schreiben. Und ob wir verstanden haben, dass Zukunft nicht gegeben ist – sondern gestaltet wird.
Es sind die Mutigen, die Geschichte schreiben.
Die, die den Status quo nicht verwalten, sondern überwinden.
Von Bertha Benz, die einfach losfuhr und damit das Automobil gesellschaftsfähig machte – gegen alle Skepsis.
Zu Gottlieb Daimler, der mit seiner Vision der Motorisierung die Welt mobilisierte.
Zu Margarethe Krupp, die mit der Margarethenhöhe soziale Standards setzte, als Frauen kaum Handlungsmacht hatten.
Zu Werner von Siemens, der die Elektrifizierung vorantrieb und damit eine neue Epoche des Fortschritts einleitete.
Zu Clara Immerwahr, der ersten promovierten Chemikerin Deutschlands und späteren Frau von Fritz Haber, die den Mut hatte, die militärische Instrumentalisierung der Wissenschaft anzuprangern – und dafür ihr Leben ließ.
Zu Carl von Linde, dessen Kältetechnik nicht nur Industrien, sondern die Ernährungssicherheit der Welt veränderte.
Zu Alfred Krupp, August Thyssen, Hugo Stinnes und Max Grundig, die Industrien aufbauten, die weit über Deutschland hinaus wirkten.
Und schließlich zu Berthold Leibinger, der bei Trumpf den Mut hatte, das eigene Geschäftsmodell mit neuer Technologie zu disruptieren – und so ein Unternehmen formte, ohne dessen Laser es heute keine Hochleistungsprozessoren gäbe.
Sie alle sahen nicht nur, was ist – sondern, was sein könnte.
Sie stellten die Regeln infrage und schrieben mit ihrem Wagemut das Buch einer neuen Zeit.
Und heute? Heute liegt es an uns einen eigenen Wagemut zu entwickeln und ein neues Buch zu schreiben. „Nie war mehr Anfang als jetzt.“ (Walt Whitman)
Welche Deutschen Pionierinnen und Pioniere ihrer Zeit haben die Zukunft mutig gestaltet und haben damit den Status-quo überwunden? Erzähle es uns in den Kommentaren.
Die 8 Thesen einer Regenerativen Marktwirtschaft
THESE 1 – Ein gedeihliches Leben für alle ist nur gesichert, wenn zukünftige Generationen von unserem Handeln profitieren. Eine regenerative Marktwirtschaft denkt nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Enkelfähigkeit wird zur entscheidenden Messgröße. Unternehmen, die heute Verantwortung übernehmen, sichern nicht nur ihre eigene Resilienz, sondern auch die Lebensqualität kommender Generationen. So entsteht die Grundlage für neues Vertrauen – in Geschäftsmodelle, in Märkte und in die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt.
THESE 2 – Zukunftsfähige Märkte entstehen dort, wo Biodiversität als Naturkapital geschützt und entwickelt wird. Biodiversität ist kein Kostenfaktor, sondern die Grundlage für compounding growth und Resilienz unseres Naturkapitals. Wer Vielfalt schützt, erhält eine stille Infrastruktur und baut ein Vermögen auf, das mit wachsender Diversität Innovation und Wertschöpfung ermöglicht. Die regenerative Unternehmerin, der regenerative Unternehmer investiert in diese Basis – und macht sie zum Fundament zukunftsfähiger Geschäftsmodelle.
THESE 3 – Die Lebenssituation aller Lebewesen verbessert sich, wenn wir uns wieder als Teil der Natur begreifen. Märkte sind in natürliche Systeme eingebettet, nicht losgelöst von ihnen. Regenerative Unternehmen wissen: Wer gegen die Natur wirtschaftet, wirtschaftet gegen sich selbst. Wer mit ihr arbeitet, erschließt neue Quellen von Innovationskraft, Stabilität und Wert.
THESE 4 – Innerhalb planetarer Grenzen bleibt, wer globale Vernetzung für lokale Wertschöpfung nutzt. Globale Vernetzung ist kein Selbstzweck. Sie wird strategisch eingesetzt, um regionale Stärke aufzubauen, Resilienz zu erhöhen und Abhängigkeiten zu reduzieren. Regeneratives Unternehmertum denkt global und wirkt lokal – und schafft damit echte Zukunftssouveränität.
THESE 5 – Im Einklang mit natürlichen Systemen handeln heißt, den Prinzipien komplexer Systeme folgen. Unternehmerische Führung in der Regeneration heißt: Komplexität nicht als Risiko, sondern als Gestaltungsraum zu verstehen. Regenerative Märkte arbeiten nach den Prinzipien lebendiger Systeme – dynamisch, vernetzt, in Kreisläufen. Unternehmen, die diese Logik in ihre Strategien übersetzen, ermöglichen dauerhaft Potenzialentfaltung.
THESE 6 – Die Ausbeutung natürlicher Systeme endet dort, wo technologische Innovationen regenerativ wirken. Lineare Effizienz verlängert nur eine Vergangenheit, die nicht mehr trägt. Regeneratives Unternehmertum baut neue Wertschöpfung – getragen von erneuerbaren Kreisläufen, syntropischen Prozessen und Technologien, die Lebenssysteme stärken. Die Chancen liegen nicht im Alten, sondern in der aktiven Gestaltung des Neuen.
THESE 7 – Wohlstand hat nur Zukunft, wenn er im Einklang mit regenerativen Grundsätzen entsteht. Ein Wohlstand, der Wohlstand zerstört, hat keine Zukunft – weil er die Zukunft kommender Generationen vernichtet. Regenerative Märkte definieren Wohlstand neu: nicht als Maximierung kurzfristiger finanzieller Profite, sondern als Balance von Lebensqualität, Resilienz und Teilhabe. Wohlstand wird zum Feld der Potenzialentfaltung – für Menschen, Unternehmen und Gesellschaft.
THESE 8 – Friedvolles Zusammenleben gelingt, wenn individuelle Entfaltung, Selbstwirksamkeit und Solidarität strukturell gefördert sind. Regenerative Märkte sind Räume der Mitgestaltung. Sie geben Menschen die Möglichkeit, Potenziale zu entfalten und Verantwortung zu übernehmen – in Unternehmen, Gemeinschaften, Gesellschaft. Selbstwirksamkeit und Solidarität sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Haltung: Zukunft nicht alleine sichern, sondern im gemeinsamen Wachsen gestalten.
Aufbruch in eine neue Erfolgsgeschichte
Die industrielle S-Kurve hat ihren Höhepunkt überschritten. Sie war eine Erfolgsgeschichte, aber ihr Platz ist die Vergangenheit. Sie hat klassischen Wohlstand geschaffen – finanziell und materiell –, doch ihre Energie ist verbraucht.
Jetzt geht es darum, New Wohlstand zu schaffen: Resilienz, Lebensqualität, Teilhabe, Potenzialentfaltung. Nicht mehr auf Kosten der nächsten Generationen, sondern als Grundlage für ihr Leben.
Wir stehen an einer Wegscheide. Entweder wir verwalten den Epilog des Alten – glänzend im Industriemuseum Deutschland, aber ohne Zukunft – oder wir schlagen ein neues Buch auf. Eines, das nicht von Ausbeutung erzählt, sondern von Erneuerung.
„Nie war mehr Anfang als jetzt.“ (Walt Whitman) – dieser Satz gilt für uns alle. Für die Unternehmerinnen und Unternehmer, für die Familienunternehmen, für die nächste Generation von Gründer:innen.
Es sind die Mutigen, die Geschichte schreiben.
Die, die den Status quo nicht verwalten, sondern überwinden.
Die 8 Thesen einer Regenerativen Marktwirtschaft sind ein Kompass. Sie laden ein, Märkte wieder in den Dienst des Lebens zu stellen – und gemeinsam das nächste Kapitel zu schreiben.
Gestalte Zukunft.
Mit regenerativen Grüßen
Welche Deutschen Pionierinnen und Pioniere ihrer Zeit haben die Zukunft mutig gestaltet und haben damit den Status-quo überwunden? Erzähle es uns in den Kommentaren.
Die 8 Thesen einer Regenerativen Wirtschaft haben wir zuerst im Oktober 2022 veröffentlicht. Und als kleines Büchlein hier.
Über den Autor
Sebastian Fittko ist Initiator, Mitgründer und Erster Vorstand der Initiative Regenerative Marktwirtschaft e.V., Gründer von regeneration.PARTNERS sowie Zweiter Vorstand der Bundesverband Impact Investing e.V.
Mit regeneration.PARTNERS begleitet er Unternehmerfamilien und ihre Organisationen dabei, Eigentümerstrategie und Geschäftsmodell im Sinne einer enkelfähigen, regenerativen Wirtschaft weiterzuentwickeln. Sein Fokus liegt an der Schnittstelle von unternehmerischer Verantwortung, gesellschaftlicher Transformation und der Frage, wie Kapital systemisch wirksam allokiert werden kann.
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