New Wohlstand: Ein tieferes Verständnis unserer echten Bedürfnisse für eine Regenerative Marktwirtschaft
Was sind die echten Bedürfnisse des Menschen?
Heute beginnen wir unsere neue Serie mit Gastautoren auf unserem Regenerativen Blog. Unser erster Gastautor ist Dr. Patrick Peters, Professor an der Allensbach Hochschule Konstanz (www.allensbach-hochschule.de).
In einer Welt in der Konsum von kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung geprägt ist und wo gesellschaftlicher Fortschritt mit quantitativem Wirtschaftswachstum gleichgesetzt wird, fordert die Initiative Regenerative Marktwirtschaft mit "New Wohlstand" zu einer zukunftsfähigen Neubewertung des durch BIP und finanzielles Kapital definierten Wohlstandsbegriffs auf. In einer saturierten Gesellschaft ist es essentiell, Wohlstand anhand der Grundbedürfnisse des Menschen, der Gesellschaft und im Kontext der Ökologie neu zu interpretieren und weiterzuentwickeln. Diesen Ansatz verfolgen wir unter dem Begriff „New Wohlstand“.
In diesem Rahmen freuen wir uns, dass Prof. Dr. Patrick Peters in seinem Gastbeitrag, anhand des Modells von Barrett, tiefgründige menschliche Bedürfnisse beleuchtet, die über den bloßen materiellen Reichtum hinausgehen und den Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zeigen. Begleitet uns auf dieser Entdeckungsreise, in der „echter“ Wohlstand neu konzipiert wird und erfahrt, welche Implikationen dies für unsere gemeinsame, gedeihliche und gute Zukunft hat.
Was sind die echten Bedürfnisse des Menschen?
Die Regenerative Marktwirtschaft strebt eine positive, nachhaltige Transformation des Wirtschaftssystems an. Dafür muss sie die Menschen als Teilnehmende dieses Wirtschaftssystems mitnehmen. Das kann sogar gelingen, da die Bedürfnisse vieler Menschen mehr und mehr über den reinen Konsum hinausgehen.
Von Prof. Dr. Patrick Peters, MBA
Die Regenerative Marktwirtschaft, so die Selbstbeschreibung der hinter diesem Blog stehenden Initiative, steht für ein ganzheitliches, symbiotisches Wirtschaften im Einklang mit der Biosphäre und innerhalb der planetaren Grenzen. Ihr Ziel ist ein gedeihendes Leben, basierend auf den Prinzipien von Gerechtigkeit, Freiheit und Ökologie, für zukünftige Generationen zu ermöglichen. Regenerative Marktwirtschaft meint, soziales, ökologisches und ökonomisches Handeln ganzheitlich auf ein gedeihendes und die Zukunft bejahendes Leben auszurichten.
Das ist nur möglich, wenn mehr und mehr Menschen bereit sind, einen neuen Lebensstil anzunehmen und ihr Verhalten bei Konsum, Ressourcenverbrauch und Co. fundamental zu ändern. Nur dann werden auch die Geschäftsmodelle wirklich erfolgreich, wenn sie zur positiven Entwicklung der Menschen, der Gesellschaft und des natürlichen Ökosystems beitragen, statt es auszubeuten oder dessen Beschädigung billigend in Kauf zu nehmen. Das Problem: Schaut man sich die öffentliche Diskussion an, kann man schnell zu der Auffassung gelangen, dass dieses Leben nicht gewollt ist. Schlagworte wie Fast Fashion, Wegwerfgesellschaft, Billig-Konsum und Co. prägen das Bild und sollen darauf hinweisen, dass die Menschen keine Regenerative Marktwirtschaft, kein ganzheitliches Wirtschaften suchen, sondern den immer schnelleren zu immer günstigeren Gütern, die weder mit Qualität noch mit Nachhaltigkeit zu tun haben.
Der Anfang des Wandels ist bereits gemacht
Aber ist das wirklich so? Wollen die Menschen vielleicht einfach keine Regenerative Marktwirtschaft? Oder sind wir vielleicht bereits viel weiter, als wir eigentlich denken? Schaut man sich Untersuchungen wie die von Richard Barrett zu den echten Bedürfnissen der Menschen an, können wir zu dem Schluss kommen: Ja, wir haben bereits einen guten Zustand erreicht, auf dem wir aufbauen können. Richard Barrett hat in der Nachfolge von Abraham Maslow und dessen bekannter Bedürfnispyramide sein Modell aus Grundbedürfnissen und Wachstumsbedürfnissen entwickelt, die er auch als Defizitbedürfnisse und unstillbare Bedürfnisse bezeichnet. Abraham Maslows Theorie besagt bekanntlich, dass Menschen ihre Bedürfnisse hierarchisch verfolgen und in der Regel die nächsthöhere Bedürfnisebene angehen, sobald die Bedürfnisse auf einer niedrigeren Ebene weitgehend erfüllt sind. Er argumentiert, dass die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse Vorrang vor höheren Bedürfnissen hat und ein Mangel an Befriedigung auf einer niedrigeren Ebene die Motivation, höhere Bedürfnisse zu verfolgen, beeinflusst.
Positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft nehmen
Richard Barrett wiederum legt mehr Wert auf die Wachstumsbedürfnisse. Seine sogenannten Defizitbedürfnisse „Überleben“, „Beziehungen“ und „Selbstachtung“ sind damit an Maslows Bedürfnispyramide angelehnt. Die Entwicklungsstufen „Transformation“, „Innerer Zusammenhalt“, „Einen Unterschied machen“ und „Dienen“ wiederum kommen als Wachstumsbedürfnisse nach dem Geldverdienen und der Erfüllung materieller und egoistischer Bedürfnisse.
Die Menschen suchen über die vier großen Entwicklungsstufen die Möglichkeit, sich selbst verwirklichen und einen echten Nutzen zu stiften. Ihnen geht es laut Richard Barrett darum, übergeordnete Bedürfnisse zu erfüllen und damit einen bestimmten Zweck zu verfolgen, beispielsweise positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft zu nehmen. Richard Barrett sieht in der höchsten Entwicklungsstufe den Versuch, ein Leben voller Bedeutung gelebt zu haben, das in Erinnerung bleiben wird.
Basisbedürfnisse hinter sich lassen
Es steht also im Fokus, einen erweiterten menschlichen Zustand zu erreichen, der nicht mehr materiell oder von anderen Basisbedürfnissen geprägt ist. Es geht um Werte und Eigenschaften wie Authentizität, den Sinn des Daseins zu verwirklichen und ein Leben mit Bedeutung zu führen und etwas zu hinterlassen. „Die drei Grundbedürfnisse und die vier Wachstumsbedürfnisse stehen für verschiedene Stufen unserer psychischen Entwicklung. Gelingt es uns nicht, unsere Bedürfnisse einer bestimmten Stufe zu befriedigen, so bleiben wir auf dieser Entwicklungsstufe stehen, bis wir es schaffen, sie zu befriedigen, oder unsere Ängste überwinden, die uns an der Befriedigung dieser Bedürfnisse hindern.“ (Barrett, Richard (2016): Werteorientierte Unternehmensführung. Cultural Transformation Tools für Performance und Profit. Berlin/Heidelberg: Springer Gabler, S. 20)
Gedeihliches Leben für zukünftige Generationen ermöglichen
Richard Barrett überschreitet beim Übergang von den Grundbedürfnissen zu den Wachstumsbedürfnissen auch eine ökonomische Grenze. Barrett macht dies an einem Beispiel deutlich: Angenommen, Sie hätten „einen gut bezahlten Posten, den Sie jedoch als unbefriedigend empfinden. Lieber würden Sie Ihrem Herz folgen und weniger gut bezahlten Arbeit nachgehen, die Ihnen sinnvoller erscheint. Aber eine deutliche Gehaltseinbuße könnte Existenzängste in Ihnen aufkommen lassen. Wenn Sie diesen Ängsten gestatten, Ihr Handeln zu bestimmen, werden Sie nicht in der Lage sein, die nächste Stufe Ihrer Entwicklung zu erreichen, nämlich das Bedürfnis nach einer Arbeit zu befriedigen, die Ihnen sinnvoll erscheint.“ (Barrett 2016, S. 21)
Das ist eben auch beim Wandel zur Regenerativen Marktwirtschaft wichtig. Es geht darum, den Übergang zwischen materiell getriebenen Bedürfnissen und den weit darüberliegenden Wünschen herauszuarbeiten. Während das konventionelle, auf den ewigen Kreislauf von Konsum und Verbrauch aufgebaute Wirtschaftssystem den Defizitbedürfnissen entspricht, ist die Idee der Regenerativen Marktwirtschaft in der oberen Ebene angesiedelt. Die Regenerative Marktwirtschaft entspricht dem bei Barrett formulierten Wunsch, einen Beitrag zu etwas Größerem zu leisten, um ein Erbe zu hinterlassen, das einmal anderen Menschen nützlich sein wird. Das spiegelt die Idee der Enkelfähigkeit beziehungsweise Generationengerechtigkeit wider, durch die Erhöhung der Regenerationsfähigkeit der Wirtschaft ein gedeihliches Leben für zukünftige Generationen zu ermöglichen.
Menschen können Teil des großen Wandlungs- und Regenerationsprozesses werden
Insofern zeigt Richard Barrett auf, dass in einer werteorientierten Gesellschaft das Regenerationsbedürfnis ohnehin vorhanden ist. Die Entwicklungsstufen „Transformation“, „Innerer Zusammenhalt“, „Einen Unterschied machen“ und „Dienen“ weisen deutlich darauf hin, dass Menschen, die sich an diesem Modell orientieren, die konventionelle Dimension bereits verlassen haben. Sie wollen nicht mehr nach den alten Mustern leben, sondern sich dem Neuen zuwenden, das weit über materiell getriebene Verhaltensweise hinausgeht. Es geht um echte Sinnstiftung, um den Wunsch, etwas zu hinterlassen, indem positiver Einfluss auf die Umwelt ausgeübt wird. Ein Leben voll Bedeutung, wie Richard Barrett den Wunsch auf höchster Entwicklungsstufe benennt, ist nur dann möglich, wenn man die untergeordnete Ebene hinter sich gelassen hat.
Und das ist bereits häufiger schon der Fall, als man hinsichtlich der allgemeinen Meinung denken mag. Der Wandel von der Shareholder Economy (also der rein profitmaximierenden Unternehmensführung) zur Stakeholder Economy (also der bezugsgruppenorientierten Unternehmensführung) ist in vollem Gange und manifestiert sich in der Neuausrichtung der Wirtschaft als Purpose Economy, die danach fragt, wie Unternehmen einen höheren Zweck für alle Beteiligten erreichen können, der über die Erfüllung finanzwirtschaftlicher Ziele hinausgeht. Die Regenerative Marktwirtschaft ist dabei der nächste Schritt, der den Einzelnen dazu qualifiziert, Teil dieses großen Wandlungs- und Regenerationsprozesses zu werden und durch individuelle Handlung auf der Mikroebene an der Transformation mitwirken zu können.
Dr. Patrick Peters ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien an der Allensbach Hochschule Konstanz (www.allensbach-hochschule.de), wo er auch Wirtschaftsethik und Diversity Management lehrt, Dozent in der Erwachsenenbildung und Berater für Kommunikation und Ethik. Er unterstützt Unternehmen und Organisationen unter anderem bei der Errichtung von Wertemanagemensystemen und tragfähigen internen und externen Kommunikationsstrukturen und -prozessen und entwickelt entsprechende individuelle Programme für Mitarbeitende zur Sensibilisierung und Implementierung.
Quellen:
Barrett, Richard (2016): Werteorientierte Unternehmensführung. Cultural Transformation Tools für Performance und Profit. Berlin/Heidelberg: Springer Gabler
The Evolution of the Barrett Model: https://www.valuescentre.com/barrett-model-evolution/